Carl Aigner
MALEREI ALS LEBENSELIXIER
Zur bildnerischen Arbeit von Christa Hameseder
Kunst gibt nicht Sichtbares wieder,
sondern macht sichtbar.
Paul Klee
Zunächst war es (scheinbar) ein Zufall: Durch eine Freundin angeregt, begann Christa Hameseder 2002 sich mit der Bildtechnik des Aquarells zu beschäftigen. Bald war es die Faszination, wie damit in spezieller Weise Natur, Landschaft „eingefangen“ und bildnerisch sichtbar gemacht werden kann, die sie nicht mehr los ließ. Rasch machte sie die Erfahrung, dass sich durch das Aquarellieren der eigene Blick auf die Natur und Landschaft nachhaltig zu verändern begann. Einerseits entstand dadurch ein viel intensiveres, bewußteres Schauen, andererseits stellte sich für sie sehr schnell heraus, dass das keine bloße Wiedergabe der jeweiligen Wirklichkeit ist. Natur und Landschaft darstellen bedeutet also, etwas Eigenständiges, Autonomes zu schaffen, etwas, das der Welt hinzugefügt wird, kurz: etwas Schöpferisches.
Das so selbstverständlich und alltäglich Gesehene begann sich für Christa Hameseder zu verwandeln, wurde geöffnet und erweitert – im Sinne von Arnulf Rainer, der Kunst als „Erweiterung des Lebens“ definiert hat. Ebenso rasch machte sie dabei auch die Erfahrung, dass Bild-Werke etwas zutiefst Existentielles zu sein vermögen, ein Neu-Sehen der Welt, die unabdingbar eine sehr persönliche, intime Entäußerung ihrer selbst beinhaltet: Ich male, also bin ich – ich male, also zeige ich mich.
Es war 2004 die Erfahrung des Todes eines ihr am nächsten stehenden Menschen, der sie abrupt zu einem neuen bildnerischen Selbstverständnis und zur Acrylmalerei führte. Von Beginn an ist das
Malen losgelöst vom Gegenständlichen – vom Figurativen – also „abstrakt“, was für die Künstlerin unabdingbar mit dem Erlebnis des Sterbens verknüpft ist. Das visuell Sichtbare ist nur ein Teil der Welt.
Das nicht Sichtbare ist viel grundlegender, essentieller; der Mensch ist nicht nur ein rationales, sondern auch ein emotionales, geistiges, spirituelles, transzendierendes Wesen. Abstraktion bedeutet, die
innere Befindlichkeit, die innere Wirklichkeit zu erspüren, erfühlen und bildnerisch sichtbar zu machen: „Ich empfinde beim abstrakten Malen ein neues Lebensgefühl, eine tiefe Freude,“ sagt dazu die Künstlerin.
Dieses Autonomsein von der äußeren, sichtbaren Welt durch die Abstraktion erfordert eine grundsätzlich neue bildnerische Haltung. Zunächst ist es ein Malprozess, der intuitiv von Innen her erfolgt, manchmal sehr spontan, dann wieder sehr überlegt. Das Kompositorische, also die Gestaltung, orientiert sich an keiner äußeren Welt, ist vielmehr innere Vision. Die mutige und dynamische Setzung von Form und Farbe – manchmal behutsam – manchmal äußerst energisch – wird zum eigentlichen Bildfaktor, zum energetischen Kraftfeld schlechthin, welches überhaupt erst die unsichtbaren Dimensionen einer menschlichen Existenz transzendierend sichtbar zu machen vermögen.
Die abstrakte Malerei von Christa Hameseder ist also keine Verweigerung einer Darstellung der gegenständlichen Welt. Vielmehr ist es eine Reaktion, ein Echo und ein Wissen darüber, dass es verschiedenste Wirklichkeiten in einem gibt und dass eine
Reduzierung auf die visuell sichtbare Welt eine schmerzliche
Reduzierung des Lebens bedeuten würde. Das Künstlerische ist
dabei per se schon eine Haltung, welche die Polyvalenz des Lebens anspricht und den Menschen wieder ganzheitlicher zu sehen
versucht. Gerade das ermöglicht uns die Erfahrung mit abstrakter Kunst. Wir fixieren uns beim Betrachten dieser Bilder nicht mehr auf eine Gegenständlichkeit, sondern erfahren die Möglichkeit eines meditativen Prozesses, der letzten Endes immer beim einzelnen
Betrachter selbst endet und ihn letztlich auf uns selbst verweist. Abstrakte Kunst ist keine Erzählung über die äußere Welt, sondern das Erzählen von inneren Welten, die auch die Welten der
Betrachter sind.
So ist es gewiss kein Zufall, dass bei der Entstehung der abstrakten Kunst (etwa Kandinsky) die Auseinandersetzung mit Musik eine wichtige Rolle spielt, sowohl emotional als auch hinsichtlich der
Abstraktion – Musik ist per se abstrakt, ein Gebilde aus Klang und Form. Dies gilt auch für das Werk von Christa Hameseder, welches in engem Zusammenhang mit dem Hören von Musik entstanden ist: Was für die Musik der Klang, ist für die abstrakte Malerei dabei die visuelle Form, der einzelne Klangton gewissermaßen die Farbe in der Malerei: Was die Klangfarben für die Musik, sind die Farbklänge für die Malerei der Abstraktion.
In seinem eindrucksvollen Buch „Der Bildverlust“ schreibt der
österreichische Schriftsteller Peter Handke angesichts der
alltäglichen Bilderflut, dass die Bilder der größte Schatz der Menschheit sind, der in den Myriaden von Bildern im 20. Jahrhundert verloren zu gehen droht. In der Tat: Nichts erscheint uns heute banaler, trivialer als Bilder. Von dieser Quantität an Bildern beginnen wir zunehmend, die Bedeutung dieses Schatzes nicht mehr erkennen zu können. Bilderwerke verkommen zur Garnierung, Dekoration, Behübschung oder zum bloßen oberflächlichen Genuss. Doch wir Menschen sind nicht nur Sprach- sondern in grundlegender Weise vor allem auch Bilderwesen. Die Fähigkeit, Bilder machen zu können, ist anthropologisch ein Teil jener Schwelle, durch die wir uns erst als Mensch zu definieren vermögen. Kein anderes Lebewesen hat diese Gabe des Bildnerischen, sie ist ausschließlich dem Menschen vorbehalten (deshalb kann sie auch eine spirituelle Dimension implizieren). Dies gilt in besonderer Weise für künstlerische Bilder, für die Kunst schlechthin.
Bilder vermögen uns etwas sichtbar zu machen, was nur Dank und Kraft der Bilder sichtbar und durch nichts anderes ersetzt werden kann – auch das zeigt uns das bildnerische Werk von Christa
Hameseder. Und noch viel mehr: dass Malerei ein Lebens-Mittel ist, ein Lebenselexier für oft schwerste Stunden wie die unmittelbare Erfahrung mit dem Tod: „Kunst verhält sich zur Schöpfung
gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist,“ heißt es so eindringlich bei Paul Klee.
So finden wir in den Bildwerken von Christa Hameseder den ganzen emotionalen Kosmos des menschlichen Seins, Trauer und Stille, Freude und Glück, Wehmut und Nachdenklichkeit, Zorn und
Sanftmut und vor allem: eine große Augenfreude, die sie uns als
Betrachter schenkt und die uns an ein Gedicht von Gottfried Keller erinnert:
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldenen Überfluß der Welt!
Carl Aigner ist Direktor des NÖ Landesmuseums in St. Pölten